„Jetzt reden wir“
Die 15-jährige Christina vom Otto-Hahn-Gymnasium stützt sich gelassen auf das Rednerpult, während sie mit nachhaltiger Betonung ihrem Gegenüber zuruft: „Ich verstehe deine Kritik, aber du hast meine Frage zur Sicherheit nicht beantwortet.“
Es folgt ein leidenschaftliches Plädoyer für die Videoüberwachung öffentlicher Plätze. Christina will nicht sofort eine Gesetzesänderung herbeiführen, sie sagt ihre Meinung, setzt sich kritisch mit den Ansichten der anderen auseinander, stellt aktiv Fragen und artikuliert sich gekonnt. Dies sind zweifellos Eigenschaften, die in einer Demokratie unverzichtbar sind. Zugleich bilden sie die Basis von Jugend debattiert – dem mittlerweile größten Schülerwettbewerb Deutschlands. Der Wettbewerb verfolgt das Ziel, Schülerinnen und Schüler sprachlich auszubilden und zu demokratischem Handeln anzuhalten, indem sie sich in der Debatte üben und lernen, die Freiheit des Wortes zu nutzen.
Das Otto-Hahn-Gymnasium nimmt bereits seit dem Schuljahr 2002/03 an diesem verhältnismäßig jungen Bundeswettbewerb teil und gehört damit zu einer von mittlerweile 495 Schulen, die sich auf hohem Niveau streiten. Gemeinsam mit der Ernst-Barlach-Gesamtschule und der Jeanette-Wolff-Realschule stellen sich die Jugendlichen jährlich politischen Entscheidungsfragen und liefern muntere und gehaltvolle Debatten.
Bevor jedoch darüber debattiert werden kann, ob beispielsweise die Schule gutes Benehmen unterrichten soll, Schuluniformen eingeführt oder die Türkei in die Europäische Union aufgenommen werden soll, gilt es, die geregelte Debatte zu trainieren. Hierfür wurden bisher bundesweit 1900 Lehrerinnen und Lehrer der Klassenstufen 8 bis 13 von professionellen Rhetoriktrainern im Debattieren geschult und mit speziellen Arbeitsmaterialien ausgestattet, um dann ihre Kenntnisse zu multiplizieren – und zwar im regulären Unterricht verschiedenster Fächer.
Jugend debattiert verbindet folglich Wettbewerb und Training: debattiert wird jeweils zu viert nach vorgegebenen Zeitintervallen und Regeln, zu denen auch die Fairness in der Auseinandersetzung gehört. Nach einem kurzen Eingangsstatement jedes Redners folgt eine freie Aussprache zum Thema. Am Ende haben die zwei Pro- sowie die beiden Contra-Redner die Gelegenheit, ein Schlusswort zu formulieren. Dabei gelingt es den Rednerinnen und Rednern sogar häufig, die Klasse bzw. das Publikum mit ihren Kenntnissen und Fähigkeiten zu überraschen. Denn die Argumente werden vorher sorgfältig in Eigeninitiative recherchiert, gegeneinander abgewogen und in der etwa halbstündigen Debatte auch sprachlich präzise dargestellt – schließlich gibt es eine Woche Zeit, sich inhaltlich intensiv auf ein Thema vorzubereiten. Worthülsen und abgegriffene Begründungen haben hier also nichts zu suchen und werden gegebenenfalls schnell zurückgewiesen: „Es ist doch bis jetzt gar nicht belegt, dass Videoüberwachung geeignet ist, Straftaten zu verhindern“ (Tobias, Klasse 9 / OHG).
Das ist auch der fachkundigen Jury klar, die aus engagierten Eltern, Lehrerinnen und Lehrern sowie erfahrenen Debattanten aus den Vorjahren gebildet wird. Sie konzentrieren sich darauf, die Sachkenntnisse, das Ausdrucksvermögen, die Gesprächsfähigkeit und die Überzeugungskraft zu bewerten. Wer das Ziel erreicht, den Wettbewerb auf der Schulverbundebene zu gewinnen, trainiert weiter in extra eingerichteten Seminaren, um sich überregional für das entsprechende Bundesland zu qualifizieren und wenn es klappt, wartet noch der jährliche Bundesentscheid für die Sekundarstufe I (Klassen 8-10) und die Sekundarstufe II (Jahrgang 11-13) in Berlin.
Die notwendigen finanziellen Mittel und organisatorischen Bedingungen für die Koordination des Projektes übernimmt federführend die Hertie-Stiftung mit ihren Kooperationspartnern, während der Bundespräsident als Schirmherr die Finalrunden in Berlin eröffnet und den Wettbewerb insgesamt engagiert und interessiert begleitet: „’Jugend debattiert’ ist eine Erfolgsgeschichte. Die Teilnehmerzahlen steigen immer weiter und das Niveau der Debatten bleibt hoch“. (Akademie der Künste, Bundesfinale, Berlin 2006)
Die Jugendlichen debattieren eifrig und das nicht nur im Schulverbund Dinslaken – der Wettbewerb, der nunmehr allein in Deutschland 60.000 Schülerinnen und Schüler zählt, weitet sich schrittweise in den Staaten Mittel- und Osteuropas (Polen, Tschechien, Baltikum, Ukraine) und der Schweiz aus. Debattiert wird dabei auf hohem Niveau und mit intensivem Engagement in deutscher Sprache. 2300 speziell ausgebildete Lehrerinnen und Lehrer unterstützen die Teilnehmer durch intensives Training zur Vorbereitung auf die Debatten im Schulverbund.
Innerhalb des gesamten Wettbewerbs werden verschiedene Schulformen (Hauptschulen, Realschulen, Gymnasien, Gesamtschulen und Berufsschulen bzw. –kollegs) erreicht, die bereits in den Vorausscheidungen zum Bundesfinale in dem Netz der Schulverbünde deutschlandweit zusammen arbeiten. Schließlich braucht in der Kommunikationsgesellschaft jeder die beschriebenen Fähigkeiten, um in der Demokratie qualifiziert mitreden und mitgestalten zu können. Das Projekt fördert zudem die Auseinandersetzung mit aktuellen Fragen unserer Gesellschaft und ist damit letztlich auch eine Antwort auf die sprachlichen Mängel, die von PISA ermittelt und von der Wirtschaft massiv beklagt wurden.
Das Otto-Hahn-Gymnasium verspricht sich von Jugend debattiert zudem eine weitere Kompetenzsteigerung. Wir möchten unseren Schülerinnen und Schülern und ihren Eltern mit solchen Projekten verdeutlichen, dass zum Angebot unserer Schule nicht nur die Pflichtstundenzahl gehört, sondern das Bestreben, einen wesentlichen Beitrag zur Mitarbeit in einem demokratischen Staatswesen zu leisten. Frei nach der Maxime Goethes:
„Es ist nicht genug zu wissen, man muss auch anwenden.“
Weitere Informationen zum Wettbewerb finden Sie auf der Homepage der Gemeinnützigen-Hertie-Stiftung: http://www.ghst.de.
Ansprechpartnerin: Frau Brücker, OStR’