Erfahrungsbericht Auslandssemester

Mystic Beach
Mystic Beach

In der elften Klasse (G9) besteht die Möglichkeit, an einem Schüleraustausch teilzunehmen. Zum einen ist dieses Schuljahr das letzte vor Beginn der Qualifikationsphase, die für das Abitur zählt und für welche die Anwesenheit am Otto-Hahn-Gymnasium unabdingbar ist. Zum anderen ist man mit 16 oder 17 Jahren schon recht alt und hat vielleicht die Zuversicht, genug Englisch oder Französisch zu sprechen, um sich in einem fremden Land zurecht zu finden. Und so bemühte ich mich letztes Jahr um die Möglichkeit, ein Auslandssemester in BC, Kanada bei einer Gastfamilie zu verbringen. Solltest du auch einen Auslandsaufenthalt erwägen, bist aber ein wenig unsicher und nervös, kannst du dir meine Erfahrungen und Erkenntnisse durchlesen, welche ich unten zusammengefasst habe.

Persönliche Eindrücke:
Ich fand mich sehr gut in meiner Schule aufgehoben, was auch daran lag, dass sie gut auf Austauschschülerinnen und -schüler vorbereitet ist. Es gab einen Informationstag vor Ort kurz vor Schulbeginn, bei dem wir uns ein wenig mit den Räumlichkeiten und generellen Abläufen vertraut machen konnten. Während der Schulzeit war Unterstützung weiterhin verfügbar, es gab sogar ein separates Büro für Angelegenheiten der Austauschschüler. Der Schuldistrikt bot sogar mehrere Ausflüge in die größere Umgebung an, wo wir auf eigener Faust nicht hingekommen wären. Deren Bemühungen haben mich positiv überrascht.

Etwas anderes, das mir an dieser Schule (und generell an amerikanischen Schulen) besonders gefällt: Ein großes Feld an Wahlfächern. Da ich sowieso keinen Abschluss an der Schule dort machen wollte, durfte ich sogar auf jegliche Pflichtfächer verzichten. Am Ende hatte ich unter anderem Klettern als Schulfach. Wie das? Die Schule kooperiert mit einer Kletterhalle direkt nebenan. Das war definitiv ein Highlight.

Das Zusammenleben mit einer Gastfamilie stellte sich als überaus interessant heraus. Viele Unterschiede von Zuhause fielen mir auf, von der Bauweise des Hauses bis über zu den Essgewohnheiten. Ein paar Mal haben wir sogar Ausflüge unternommen, einmal haben wir über Nacht gezeltet. Am Morgen gingen wir mit Bärenspray auf eine Tour (Schwarzbären-Gefahr!), abends gab es dann vor Ort gefangenen Fisch.

Ich hatte zwei kanadische und einen italienischen Gastbruder, alle drei bis fünf Jahre älter als ich. Das Alter war bestimmt ein Grund, weshalb wir viele Freiheiten hatten. Öfters fuhr ich mehrere Stunden mit Bussen zum Wandern, zu Attraktionen und Restaurants und kam spät zurück, nie wurde ich dabei eingeschränkt. Weniger gefielen mir die neuen Verpflichtungen im Haushalt, doch das hielt sich alles in Grenzen. Mir fiel es sogar deutlich einfacher, meine Arbeiten zu erledigen. Schließlich ist man für sich selbst verantwortlich.

Mit Freundschaften habe ich unterschiedliche Erfahrungen gemacht. Mit anderen Austauschschülerinnen und -schülern aus u.a. Belgien, Mexico und Japan konnte ich mich hemmungslos und lange unterhalten. Wir alle waren schließlich neu in einem fremden Land, ohne irgendjemanden, den wir kannten. So entstand eine große Freundesgruppe und wir trafen uns regelmäßig. Mit Ausnahme meines Kletterpartners verstand ich mich aber nur oberflächlich mit den Einheimischen. Es ist eben nicht einfach, sich in die bestehenden Gruppen zu integrieren.

Abgesehen von der Kletterhalle war die Region (Kaskadien) der entscheidende Grund, warum ich genau dort zur Schule wollte. Über ein paar YouTuber bin ich 2020 auf die Gegend aufmerksam geworden. Die dichten Wälder und Küstenlandschaft haben mich beeindruckt. Es ist unglaublich, wie man bestimmte Merkmale aus den Videos wiedererkennen kann. Man fühlte sich wie in einem Film.

Creyke Point & East Sooke Coast


Was kannst du erwarten?

  • Support an der Schule
    Leider kann ich nicht sagen, ob der beschriebene Grad an extra Unterstützung für Austauschschülerinnen und -schüler an anderen Schulen üblich ist oder nicht. Eine Deutsche, die auf eine Schule 15 Kilometer entfernt von meiner ging, hatte kaum etwas dergleichen. Da kann man also Glück und Pech haben.
  • Schulfächer
    Amerikanische Schulen sind nicht zwangsläufig einfach, wie oft behauptet wird. Viel eher kann man sich den Schwierigkeitsgrad individueller gestalten – bei mir gab es etwa drei unterschiedliche Arten von Mathe, die verschieden schwere Anforderungen haben.
  • Gastfamilie
    Was, wenn die Gastfamilie nicht passt? Dazu kann ich nicht viel sagen. Kleine Unzufriedenheiten habe ich einfach ausgeblendet, größere Probleme hatte ich nie. Gewechselt habe ich meine „Host Family“ nicht. Generell waren mir kleine Unstimmigkeiten nicht allzu wichtig. Mit Ausnahme der Ausflüge und an Feiertagen hatte ich sonst eher wenig mit der Familie zu tun, da wir alle unser eigenes Programm hatten. Wichtige Informationen über die Gasteltern bekam ich durch meine Austauschorganisation.
  • Sprachkenntnisse
    Ob du dich verbesserst, hängt sehr davon ab, wie sehr du Deutsch im Alltag vermeidest. Je mehr Zeit du mit den Einheimischen verbringst, desto mehr beiläufiges und umgangssprachliches Reden wirst du verstehen können. Ich kenne mehrere Deutsche, die in der Nähe zur Schule gegangen sind und alle hatten unterschiedlichen Erfolg. Sicher hilft der Aufenthalt, besser in der gegebenen Sprache zu werden, doch dein Erfolg ist individuell. Erwarte jedenfalls nicht, nach drei Monaten Frankreich, flüssig Französisch sprechen zu können. Bedeutsame Fortschritte machte ich erst nach vier von fünf Monaten, dann erst konnte ich mich ohne Weiteres auf Englisch unterhalten.
  • Was nicht so gut lief
    Hin und wieder kann es etwas einsam sein. Meine Freunde dort waren alle älter als ich, in meiner Stufe hatte ich also nicht viele Leute, die ich gut kannte. Der Unterricht fühlte sich manchmal etwas langwierig an. Das war aber das einzig größere Problem. Ansonsten waren es nur die zu erwartende Kleinigkeiten: Keine Familie, sperriger Schreibtischstuhl – so etwas halt.

Fazit

Ein Auslandsaufenthalt ist, egal wie lange und wo, eine einzigartige Erfahrung. Selbst wenn nicht alles glattläuft – ich habe zum Beispiel mein Portemonnaie mit allem Drum und Dran direkt am ersten Tag verloren.. Ist doch auch mal was! Ich weiß jetzt, wie ich in solchen außergewöhnlichen Situationen, fernab der Familie, reagiere. Ein absolut wichtiger Erfahrungsschatz für meine Zukunft! Für jeden, der offen für etwas Neues ist – sowohl für Hoch- und Tiefpunkte – empfehle ich, es selbst auszuprobieren. Für mich hat es sich auf jeden Fall mehr als gelohnt!

Ole Gärtner